Richard Herzinger: Ergo totgeschlagen

Wenn der vermeintliche «Wille des Volkes» sich austoben kann, ohne dass er durch Institutionen der repräsentativen Demokratie, durch verbindliche Gesetze und durch die Gewaltenteilung gebändigt wird, kommt dabei keine «wahre Demokratie» heraus, sondern Willkür. Die rechtsradikale AfD will da nichts anderes als ihre Vorläufer in den Zwanzigern.

Die populistische und nationalistische Rechte in Europa versucht den Eindruck zu erwecken, sie stehe für die Verteidigung und Erweiterung der Demokratie gegen eine «volksferne» politische Elite. Darin unterscheidet sie sich von ihren historischen Vorläufern in den 1920er und 1930er Jahren, die offen für die Beseitigung der Demokratie agitierten. Doch im Kern will die neue, «modernisierte» Rechte nichts anderes als die Demokratiefeinde von damals. Indem sie suggeriert, die institutionalisierte, repräsentative Demokratie sei ein System zur Niederhaltung des authentischen Willens des Volkes, greift sie die Fundamente der demokratischen Ordnung an.

Die Verfechter eines harten Brexit in Großbritannien denunzieren das frei gewählte Parlament als «Feind des Volkes», und Premierminister Boris Johnson präsentiert sich als Stimme und Vollstrecker des wahren Volkswillens gegen die demokratisch legitimierten Abgeordneten, die diesen angeblich verfälschen. Abweichler in der eigenen konservativen Partei denunziert er als «Verräter» und wirft sie, im Stile eines autoritären Führers, kurzerhand aus ihr hinaus. In Deutschland vereinnahmt die rechtsradikale AfD das Erbe der «friedlichen Revolution» in der DDR von 1989/90, indem sie die Parole «Wir sind das Volk» übernimmt und damit suggeriert, die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik unterdrücke die Bevölkerung ebenso wie einst die SED-Diktatur.

 

Der volle Text von Richard Herzinger
Illustration (CC) vfutscher